Regionales Unterwegs

Lehrstück Weide

Baum mit Neonorange Kreuz markiert. Kinder haben bemalte Schilder aufgehängt.

Letztes Jahr im Oktober erreichte mich eine Mail einer Freundin, die mich darum bat, im Quartier am Turm als Fotograf zu unterstützen. Es ging darum, dass Kinder eine Linde retten wollten und größtmögliche Unterstützung durch die Öffentlichkeit benötigen. Man wüsste nicht, wie viele Leute kommen und ob die Presse dabei ist.

Ich war spontan dabei, da es eine Aktion von Kindern war und um einen zu rettenden Baum ging. Die Linde stellte sich als Weide heraus und das änderte nichts an der Motivation der Kinder. Ich konnte noch zwei Freunde dafür gewinnen und war am 24. Oktober um 16 Uhr am besprochenen Treffpunkt.

Städtischer Baum im Vordergrund. Die Kinder möchten dass er verpflanzt wird.
Links im Hintergrund die Weide. Im Vordergrund der andere Baum.

Baumliebe

Kinder stehen um ihren geliebten Kletterbaum

Als ich ankam waren schon die ersten Eltern und Kinder vor Ort. Die zu rettende Weide war von den Kindern schon liebevoll geschmückt und mit Aktionsplakaten und klaren Botschaften versehen worden.

Es galt den lieb gewonnen Baum zu retten, der mit den Kindern in diesem neuen Wohngebiet von Anfang an wild gewachsen war.

Dieser Baum hat für die Kinder Charme, da er wahrscheinlich durch seine unkonventionelle Wuchsform leicht bekletterbar ist und weil er eben nicht dem städtischen Einheitsbaum entspricht. Genau so einem sollte die Weide nun weichen.

Stadtbaum

Kinder und Bürgermeister Erichson schauen auf die Bäume.
Herr Erichson in Forstkleidung

In nächste Nähe zur Weide steht in einem Abstand von etwa drei Metern ein durch das Landschafts- und Forstamt gepflanzter Baum – sauber, gerade und sicher. Ohne Möglichkeit, daran hochzuklettern.

Das Problem ist, dass sich die Baumkronen beider Pflanzen berühren und sich die Bäume gegenseitig möglicherweise Wasser und Licht wegnehmen. Außerdem hat die Stadt Sorge, dass die Sicherheit des wilden Baums nicht gewährleistet ist. Er könne beim nächsten größeren Sturm einfach umfallen.

Als Herr Bürgermeister Erichson und Herr Dr. Baader des Heidelberger Landschaft- und Forstamtes eintrafen, war aus der kleinen Menge Kinder eine stattliche Protestgruppe geworden. Die Kinder konnten Fragen stellen, Ideen vorbringen und ihren Baum verteidigen. Die Herren der Stadt Heidelberg gingen geduldig und freundlich auf die Fragen und Ideen ein.

Bürgermeister Erichson und Herr Dr. Bader vom Forstamt beantworten Fragen und nehmen Ideen auf.
Kinder und Mitarbeiter der Stadt verhandeln um die Bäume.

Nicht vereinbar?

Zu Beginn der Diskussion sah es eher nicht so aus, als würde es zu keiner Einigung zwischen der Stadt und den Kindern kommen. Es gab zwei Seiten, deren Ziel es schien, den jeweils gegnerischen Baum einfach loszuwerden. Einfaches Problem, einfache Lösung. Jedoch keine, die mit der jeweils anderen Lösung kompatibel war. Und es gab auch Ideen, die für beide Bäume sprachen.

Den Baum zu verpflanzen, musste Herr Dr. Baader vom Forstamt leider verneinen. Beide Bäume seien schon zu groß und die Wurzeln würden sich vermutlich nicht trennen und ohne Beschädigung ausgraben lassen. Außerdem gäbe es keine Alternativstandorte.

Kinder vethandeln mit den Erwachsenen. Es scheint keine Lösung in Sicht.
Die Verhandlungen sind verzwickt, keine Lösung in Sicht.

Doch eine Lösung

Letztlich machte Herr Bürgermeister Erichson in Abstimmung mit Herrn Dr. Ernst Baader vom städtischen Forstamt den Vorschlag, dass man doch beide Bäume stehen lassen könnte, wenn man beide Baumkronen etwas zurückschneidet.

Damit konnten sowohl die Mitarbeiter des Landschafts- und Forstamts, als auch die Schar der Anwohnerinnen und Anwohner zufriedengestellt werden.

Es wurde beschlossen und versichert, dass der Weide auch in Zukunft kein Leid angetan wird. Erst, wenn der Baum zur Gefahr werden sollte, werde man ihr zu Leibe rücken. Vor der Verabschiedung durfte die Presse noch ein Gruppenfoto von allen Beteiligten machen.

Kinder stehen Zwischen den Bäumen und dem Bürgermeister.
Links die Weide, rechts der städtische Baum. Beide bleiben stehen.

Fazit

Die stehen gebliebene wilde Weide entspricht zwar nicht den städtischen Planungen und sie wird wahrscheinlich in den nächsten Jahren etwas mehr Pflegeaufwand erfordern. Denn hier muss darauf geachtet werden, dass die Weide sicher steht und sich die Bäume gegenseitig nicht ins Gehege kommen.

Was ich für viel wichtiger halte, ist die Lektion, die die Kinder unbemerkt gelernt haben. Sie haben erfahren, dass es sich lohnen kann, sich in einer Demokratie für eine gute Sache einzusetzen. Dass sie etwas bewegen können, wenn sie gute Argumente sammeln, sich auf andere Argumente einlassen. Und dass sie etwas erreichen können, wenn sie sich zusammen tun.

Genau für dieses Stück Lebensweisheit habe ich diese Aktion gerne unterstützt und fotografisch begleitet. Vielen Dank an die Stadt Heidelberg und die Eltern, die dies organisiert und ermöglicht haben.

Fotos der Verhandlung

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Autor

Ich bin Heidelberger, bin in den Bereichen IT und Klimaschutz zu Hause, fotografiere und meine Berufung liegt im Verstehen von Konflikten (Mediation). Ich schreibe auf meinen Weblog über Dinge, die mich bewegen und die Region um Heidelberg.

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